Keine erheblichen nachteiligen Auswirkungen zu erwarten

Nach langer Prüfung das überraschende Ergebnis: Laut RP Kassel kann die Beseitigung der Wohrateiche im Naturschutzgebiet nicht gegen das Verbot der Beseitigung der Wohrateiche im Naturschutzgebiet verstoßen.


Der Text im Staatsanzeiger für das Land Hessen Nr. 10 2023 liest sich nicht nur vom festgestellten Ergebnis her wie eine Satire, er ist auch ansonsten widersprüchlich und fordert zum Widerspruch heraus.

Leider besteht der Eindruck, dass das, was die Behörde im Staatsanzeiger

https://www.staatsanzeiger-hessen.de/dokument/?user_nvurlapi_pi1%5Bdid%5D=10289468&cHash=2207138069&src=redirect

veröffentlicht hat, entweder unter erheblichem Druck zustande gekommen oder das Ergebnis eines eklatanten Fachkräftemangels ist. Dieser in einem Rechtsstaat eigentlich ungeheuerliche Vorwurf lässt sich nachfolgend erstaunlich einfach begründen.

Weil einerseits die Materie komplex ist, andererseits der allmächtige LWV bekanntlich alternativlos auf Teufel komm raus die Teiche beseitigen will, drückt man nach langem Zögern seitens des RP beide Augen zu und behilft sich mit herbeigebeten Annahmen und Wunschdenken. Dabei verstickt man sich in Widersprüche.

Der Reihe nach:

Die Behörde stellt zur allgemeinen Verwunderung fest: „Diese Vorprüfung hat ergeben, dass keine erheblichen nachteiligen Auswirkungen zu erwarten sind. Die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) ist daher im Ergebnis nicht erforderlich.“

Es folgt eine Begründung, die realitätsferner und unverständlicher kaum hätte ausfallen können.

Konkret heißt es am Ende des ersten Absatzes der Begründung: „Für den genehmigungspflichtigen Gewässerausbau war nun unter Berücksichtigung der in Anlage 3 aufgeführten Kriterien zu prüfen, ob das Vorhaben erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben kann, welche die besondere Empfindlichkeit oder die Schutzziele des Gebietes betreffen.

Die Behörde kommt zu dem (vom LWV gewünschten) paradoxen Ergebnis, dass das Vorhaben, spricht die Beseitigung des namensgebenden Kerns eines Naturschutzgebietes, keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen haben kann, welche die besondere Empfindlichkeit oder die Schutzziele des Gebietes betreffen. Dieses Ergebnis ist im Lichte der Anlage 3, welche unter https://www.gesetze-im-internet.de/uvpg/anlage_3.html nachzulesen ist, deshalb ungeheuerlich, weil nach der Verordnung über das Naturschutzgebiet „Wohrateiche bei Haina“ der besondere Schutzzweck die Erhaltung der Teiche ist. In § 2 der Verordnung über das Naturschutzgebiet „Wohrateiche bei Haina“ heißt es: „Zweck der Unterschutzstellung ist es, das Bachsystem der Wohra mit seinen naturnahen Teichen … zu sichern und zu bewahren.

Verkürzt: Die Behörde stellt fest, dass die Beseitigung der Teiche keine negativen Auswirkungen auf die Teiche haben kann.

Konkret heißt es weiter:

Aus der naturschutzrechtlichen Eingriffs-/
Ausgleichbilanzierung zum Landschaftspflegerischen Begleitplan
(LBP) ergibt sich eine hohe Aufwertung des Plangebietes infolge
der Maßnahmenumsetzung
.“

Woraus sich eine hohe Aufwertung ergibt, wenn nach diesem Eingriff deutlich weniger - zum Teil streng geschützte - Tierarten vertreten sind als es früher waren, vermag die Behörde nicht einmal im Ansatz zu erläutern. Anders ausgedrückt, es entsteht der Eindruck, man schreibt mit Vorsatz die Unwahrheit, um zum bestellten Ergebnis zu kommen.

Konkret heißt es weiter:

Vom seitlich zufließenden Gehlinger
Bach wird ein Abschlag in Ersatzwasserflächen geführt, welche
im unteren Kälbergrund zum Ausgleich für Wasserflächenverluste
angelegt werden, sodass auch für an Stillgewässer gebundene
Arten langfristig ein Lebensraum vorhanden sein wird. Durch die
geringfügige Einspeisung wird die Wasserführung in den Tüm-
peln verstetigt. Zur Vermeidung erheblicher Beeinträchtigungen
nachgewiesener örtlicher Fledermausarten dienen vorlaufende
funktionserhaltende Maßnahmen (CEF-Maßnahmen) in unmittel-
barer Nachbarschaft des Plangebietes sowie die Schaffung von
Ersatzwasserflächen in einem zusätzlich möglichst breiten, mäan-
drierenden und strukturreichen offenen Bachtal. Es ist nicht er-
forderlich, die gesamte Wasserfläche beider Stauteiche zu er-
setzen, da diese nicht das alleinige Nahrungshabitat der Fleder-
mäuse in dem oben angegebenen NSG darstellen
.

Hintergrund dieser Ausführungen sind Gutachten des Instituts für Tierökologie und Naturbildung, welche das Vorkommen von streng geschützten Fledermausarten festgestellt haben. Danach sind die Fledermäuse auf die Hälfte der früher existenten Wasserflächen angewiesen.

Wenn jetzt nur noch von „den Tümpeln“ und von „Ersatzwasserflächen in einem zusätzlich möglichst breiten, mäandrierenden und strukturreichen offenen Bachtal“ die Rede ist, kann diese Vorgabe bei realistischer Betrachtung nicht eingehalten werden. Unklar formuliert ist, ob die im ersten Satz genannten „Ersatzwasserflächen“ mit den „Tümpeln“ gleichzusetzen sind. Nicht erwähnt wird, dass der einzig verbliebene Teich im Naturschutzgebiet, der Königsteich, zu verschlammen droht. Die Wasserflächen gehen also weiterhin zurück. Das heute bereits absehbare Folgen des Klimawandels von der Behörde ignoriert werden, verwundert zusätzlich.

Zu den Tümpeln: Die vom LWV auf Anordnung des RP angelegten Ersatzwasserlöcher sind bekanntlich immer wieder ausgetrocknet und funktionieren seit ihrer Einrichtung nicht.

Nun ausgerechnet einen Abschlag des zeitweise praktisch kein Wasser führenden den Gehlinger Baches als nachhaltige Lösung in Erwägung zu propagieren, ignoriert die örtlichen Gegebenheiten und Erfahrungen.

Was im konkreten Zusammenhang „vorlaufende funktionserhaltende Maßnahmen (CEF-Maßnahmen) in unmittelbarer Nachbarschaft des Plangebietes“ sind, wird (warum?) nicht klargestellt.


Nachdem auch die weiteren Ausführungen so blumig wie zweck-optimistisch bis utopisch gehalten sind, folgt die abschließende Feststellung: „Sonstige Prüfkriterien stehen dem Vorhaben nicht entgegen.“ womit zum Beispiel Fragen des Katastrophenschutzes und die Feststellungen der Denkmalschutzbehörde außer Acht gelassen werden.